CDU und SPD streiten um Mitte
Tagesspiegel,
26.09.2913,
von
Ralf Schönball
1.
Oktober 2013,
Stellungnahme von
Beate Schubert,
Vorsitzende Berliner Historische Mitte e.V.
Kein Geld für das
historische Zentrum? Verwundert das etwa jemanden, hört man
doch dies ewig gleiche Mantra von der Senatsbauverwaltung seit Jahren.
Wir erinnern uns: gerade einmal fünf Monate ist es her, da
rieben sich alle, die sich mit der Wiederherstellung des historischen
Stadtkerns beschäftigen, erstaunt die Augen, schienen doch
plötzlich Zeichen und Wunder zu geschehen. Unter der
Überschrift „Schöner
wohnen am Roten
Rathaus“ widmete der Tagesspiegel am 20. April
eine ganze
Seite seines Berlinteils einer kleinen Sensation in Sachen
Stadtplanung (Zeitungsartikel siehe unten).
Auf mehreren
Fotos konnte man SPD Landesparteichef Jan
Stöß sehen, der zukunftsweisend in
Richtung Stadtbrache rund um den Neptunbrunnen deutete und folgende
Worte sprach: Zurzeit sei „die Innenstadt am Fuße
des Fernsehturms „eine Brache ohne
Aufenthaltsqualität“. Es gebe
„keine
Pläne, wie das historische Zentrum entwickelt
werden“ könnte. Die SPD will daher
„die
Brachen im historischen Zentrum Berlins um das Rote Rathaus bebauen und
dazu eine Internationale Bauausstellung (IBA) ausrufen. Etwa 4000
Wohnungen könnten dort entstehen". Entschieden
spricht Jan
Stöß sich sodann weiterhin dort aus für
„die
Wiederherstellung von Straßen und
Plätzen aus der Vorkriegszeit und den Bau neuer
Wohnhäuser in den so rekonstruierten Blöcken mit
„anspruchsvoller Architektur, die Berlin zu oft vorenthalten
wurde".
Damit niemand auf die Idee kommen könne, es handle sich
lediglich um
eine spontane unverbindliche Eingebung, bekräftigt er dies
einen Tag später in der Berliner Zeitung und schlägt
dort vor, „sich
bei der Gestaltung des Rathausforums zwischen
Bahnhof Alexanderplatz und Marx-Engels-Forum ebenso wie bei der
Gestaltung des Molkenmarktes am historischen Stadtgrundriss zu
orientieren. Am Fuß des Fernsehturms sowie auf dem
Marx-Engels-Forum würden danach neue kleine
Wohnhäuser entstehen“.
Stöß will
jedoch „keine
Häuser mit historisierenden Fassaden,
sondern eine moderne, zeitgemäße Architektur, die
Urbanität schaffe“ An diesem Ort sei
„die
Stadt seelenlos geworden, der öffentliche Raum dort werde von
Herrschaftssolitären dominiert, und es lebten kaum noch
Menschen dort.
Man hörte die Botschaft, konnte es allerdings kaum glauben,
zählt Stöß doch eher zum linken
Flügel in der SPD und dort möchte man
erklärtermaßen das Marx-Engels-Forum, das derzeit
ohnehin U5-Großbaustelle ist, für die Zukunft als
dringend benötigte Grünanlage wiederherstellen.
Außerdem steht - was nur wenigen bekannt ist - das gesamte
Areal bis zur Spree auch heute noch unter Denkmalschutz und zwar in
seiner Eigenschaft als „zum
Gesamtdenkmal Fernsehturm
gehörige Freiflächen“,
das quasi
letzte Überbleibsel der ehemaligen Staatsachse der DDR,
die
einst bis zum Brandenburger Tor reichte.
Bekanntlich
sperrt sich seit Jahren die von der SPD regierte Senatsverwaltung
für Stadtentwicklung vehement gegen eine Wiederbebauung der
Freifläche zwischen Marienkirche und Rotem Rathaus, allen
voran Senatsbaudirektorin Regula Lüscher. Nachdem die
Ausgrabungen vor dem Roten Rathaus zahlreiche Funde aus
mittelalterlichen und späteren Zeitschichten zutage
gefördert hatten und die Diskussion über eine
Wiederbelebung des einstigen mittelalterlichen Stadtzentrums gerade in
Gang gekommen war, überraschte die Senatsbaudirektorin mit
einem von ihr initiierten Ideenwettbewerb, von denen allerdings keiner
der Entwürfe eine Bebauung vorsah; einer der
Vorschläge empfahl sogar, das gesamte Areal zu fluten.
Dazu wird es nun wohl nicht mehr kommen, denn selbst dem SPD -Sprecher
für
Stadtentwicklung Daniel Buchholz ist inzwischen klar geworden,
daß es einen verbindlichen Koalitionsbeschluss in Sachen Reurbanisierung Historische Mitte
mit der CDU gibt. Diese hatte bereits
Anfang Mai spontan auf die Initiative von Stöß
reagiert mit einer Beschlussvorlage an das Abgeordnetenhaus Der Titel:
"Die Historische Mitte
Berlins zum lebendigen Stadtraum entwickeln" Der
stadtpolitische Sprecher CDU Stefan Evers möchte die in dieser
Frage offenbar völlig zerstrittene SPD zu einer verbindlichen
Terminplanung zu zwingen. Gleich im ersten Absatz des Antrags
heißt es: "Der
Senat wird aufgefordert, die
verfahrensmäßigen Voraussetzungen dafür zu
schaffen, bis zum Jahr 2016 verbindliche planerische Rahmenbedingungen
für eine neue Gestaltung und Entwicklung im Bereich des
heutigen Rathausforums herzustellen".
Wenn nun von
den ursprünglich für diverse Podiumsdiskussionen und
einen städtebaulichen Gestaltungswettbewerb
geplanten 600 000 € im nächsten Jahr nur noch 75 000
€ übrig bleiben, hätte die Berliner
Historische Mitte e.V. dazu einen konstruktiven Vorschlag:
Bevor alle
beginnen, über die künftige Gestaltung der
historischen Mitte öffentlich zu palavern, sollte man
vielleicht erst einmal allen daran Beteiligten und den an der
künftigen Gestaltung ihres Zentrums interessierten Berlinern
in einer Ausstellung zeigen, wie die historische Mitte vor der
Bombardierung einmal aussah: Marien- und Heiliggeistviertel (heute
Rathaus- und Marx-Engelsforum) , das alte Nikolaiviertel und das
Klosterviertel samt Molkenmarkt und Jüdenhof; ganz zu
schweigen von Alt-Cölln mit dem Spittelmarkt, den
Häusern im Fischerkiez am Spreeufer, den
Krögelgassen, dem Mühlengraben, und und und.
Die
verdienstvolle Ausstellung „Berlins vergessene
Mitte“, kuratiert von dem Historiker Benedikt
Goebel, vermittelte vor zwei Jahren einen ersten Eindruck,
wie dicht bebaut der historische Stadtkern Berlins über
Jahrhunderte war. Doch sie fokussierte sich überwiegend
auf Architekturfotos aus dem späten 19. und
beginnenden 20. Jahrhundert, auf Hausfassaden,
Straßen- und Platzansichten; Menschen waren dort –
wegen der damals noch erforderlich langen Belichtungszeiten –
nur selten zu sehen. Doch Häusern ohne Bewohner,
Straßen ohne Verkehr und Passanten vermögen kaum,
urbanes Leben zu widerzuspiegeln.
Will man die
Urbanität der historischen Mitte veranschaulichen, dann bedarf
es dazu der Fotos zwischen den beiden Weltkriegen mit Menschen
und Verkehr: Straßenbahnen, Radlern, Automobilen
und Pferdedroschken, mit Geschäften, Kiosken,
Litfaßsäulen, Cafés und
Schaufensterauslagen. Diese Bilder sind vorhanden und man sollte sie
zeigen und so präsentieren, daß für die
Nachgeborenen, die hier wieder Urbanität schaffen wollen,
Maßstäbe gesetzt und Orientierungshilfen gegeben
werden. Eine Vorstellung muß im Kopf entstehen, quasi als
Bezugsrahmen: Ach so
war das.
Jan
Stöß plädiert dafür, sich bei
einer künftigen Wiederbebauung am alten
Straßengrundriß zu orientieren, eine Forderung, die
eigentlich bereits längst festgeschrieben ist im sogenannten Planwerk Innenstadt,
das vom Abgeordnetenhaus im Mai 1999
zunächst für den Molkenmarkt beschlossen
wurde und nun lediglich auf das Areal zwischen Kirche und Rathaus
übertragen werden müßte.
In
der
derzeit laufenden Ausstellung „Berlins geraubte
Mitte“ geht Benedikt Goebel noch einen Schritt weiter, indem
er fordert, daß sich die künftigen
Baugrundstücke exakt an den Vorkriegsparzellen orientieren
sollten. Bei der Ausstellungseröffnung in der Nikolaikirche
appellierte Kulturstaatssekretär André Schmitz,
„es als
Auftrag anzunehmen, auf diesem Weg weiter zu gehen
und in diesem Sinne auch zu diskutieren, was die Erkenntnis aus dieser
Ausstellung zur „Geraubten Mitte“, wo fast ein
Drittel aller Berliner Juden lebte, für uns bei der weiteren
Entwicklung dieses Bereiches bedeutet."
In
der Tat
stellt sich die Frage, ob das Land Berlin wirklich ernst machen will
mit der Rückgabe der 225 im Dritten Reich arisierten
Grundstücke an die Anspruchsberechtigten. Als wir vor
fünf Jahren in der Senatsbauverwaltung nachfragten, welches
denn die Gründe seien, warum man dort bis auf weiteres eine
weitgehend versiegelte Stadtbrache mit zwei Brunnen belassen wolle,
lautete die Antwort, das habe zu tun mit der Restitutionsbefangenheit
zahlreicher Grundstücke. Auf ein solches Wort kann nur eine
deutsche Verwaltung kommen.
Unter
dem Pflaster liegt die Stadt“ wählte
sich die
Berliner Historische Mitte e.V. bei ihrer Gründung vor 5
Jahren als Motto. Gemeint war damit, die zu DDR-Zeiten
vorgenommene Versiegelung zwischen Marienkirche und Rathaus
aufzubrechen und sich erst einmal mit der Vergangenheit
auseinanderzusetzen, bevor man erneut damit beginnt,
künftige Planfeststellungsverfahren einzuleiten, die dann
nicht mehr rückgängig zu machen sind. Ehe man
für viel Geld wieder einmal Gestaltungswettbewerbe
auszuschreibt, sollte man es sich erst einmal genau anschauen, dieses
Alt-Berlin; sich ein Bild davon machen, wie sie denn aussahen : die
repräsentativen, die jeweiligen Viertel begrenzenden
Verkehrsadern.
Die
Spandauer-, König- und Klosterstraße; die heute
verschwundene Burgstraße am Spreeufer; die kleinen, seit dem
Mittelalter bestehenden Verbindungen rund um die Marienkirche und den
Neuen Markt: Die Heilige Geist-Str die Heidereuthergasse, die
Bischofstr., der Hohe Steinweg. Hier wohnten und wirkten im 18.
Jahrhundert die Protagonisten der Berliner
Aufklärung: Moses Mendelssohn, Lessing, der Verleger
Friedrich Nicolai. Während in den kleinen
Sträßchen einzelne zweigeschossige Bauten erhalten
blieben, entstanden im ausgehenden 19. Jahrhundert in den
großen Straßenzügen
repräsentative vier-fünfgeschossige Wohn-und
Geschäftsbauten.
Nach
dem 1.
Weltkrieg nahmen Umgestaltung und Modernisierung immer rasantere
Züge an, in der Spätzeit der Weimarer Republik
schlugen Stadtplaner wie Ludwig Hilberseimer sogar vor, die gesamte
Altstadt östlich der Spree komplett niederzureissen und durch
gewaltige Hochhausriegel zu ersetzen. Auch die Nationalsozialisten
hatten mit Alt-Berlin wenig im Sinn, in den 30 er Jahren setzte dann
– wie in der o.g. Ausstellung „Die geraubte
Mitte“ eindringlich geschildert - die systematische
Enteignung der in jüdischem Besitz befindlichen
Grundstücke ein.
Wenn
SPD-Sprecher Daniel Buchholz dafür plädiert:
„wir brauchen
keinen überhasteten Wettbewerb zu
veranstalten“ so ist ihm beizupflichten, denn
für
Wettbewerbe ist es noch zu früh. Selbst Podiumsdiskussion
bringen momentan noch wenig, solange die Beteiligten nicht wirklich
wissen, ob und inwieweit sich künftige Planungen an den
einstigen Strukturen orientieren sollen.
Wer eine
Vorstellung davon gewinnen will, wie die historische Mitte vor dem
Krieg einmal aussah, könnte zwar Mitglied in der
Landesgeschichtlichen Vereinigung Berlin/Brandenburg werden und sich
die regelmäßigen Power-Point-Vorträge von
Benedikt Goebel ansehen, der sich mittlerweile auf Alt-Berlin und
Alt-Cölln und ihre Geschichte spezialisiert hat. Doch
eigentlich gehören solche Veranstaltungen vor ein
größeres Auditorium, etwa in die Heiliggeistkapelle,
die Parochialkirche oder andere geeignete Säle in der
historischen Mitte mit anschließender öffentlicher
Diskussion; hiervon müßten Mitschnitte und
DVD´s hergestellt werden, die jeder Stadtplaner und
Architekt, der künftig in Mitte mitplanen will, gesehen haben
sollte.
Auch die
Medien könnte man mit einbeziehen, ehemalige noch lebende
Bewohner als Zeitzeugen befragen und aus privaten Haushalten Fotos aus
den 20 er - 40er Jahren zutage fördern, die ansonsten
unerkannt in Nachlässen verschwänden und entsorgt
würden.
Sich
systematisch und voller Neugierde mit der spannenden Geschichte des
historischen Stadtkerns auseinanderzusetzen, ist eine zeitraubende
Arbeit, der sich bisher weitgehend nur einige engagierte Historiker,
Stadtplaner und Architekten gewidmet haben, ferner Mitglieder der
diversen Geschichtsvereine sowie einige engagierte Angehörige
der Senatsbauverwaltung, so etwa Manfred Kühne, dem
für die Neuplanung der historische Mitte zuständigen
Referatsleiter. Eine weitere löbliche Ausnahme bildet das
Landesdenkmalamt, das dank der Initiative und kundigen Leitung von
Prof. Matthias Wemhoff mit den Ausgrabungen auf dem
Schloßplatz, vor dem Roten Rathaus und am Petriplatz
Vorbildliches geleistet und Eindrucksvolles zutage gefördert
hat.
Auch
mit den
75 000 € , die der Stadtplanungsausschuß nun
außerordentlich großzügig bewilligt hat
ließe sich wenigstens etwas bewirken, man muß es
nur wollen und dann auch tun. Die Berliner Historische
Mitte e.V. schlägt vor, im
nächsten Jahr eine Ausstellung zu zeigen unter dem
Arbeitstitel „Die urbane Mitte“ - Das
historische
Stadtzentrum zwischen den Weltkriegen".
Ein
Konzept
hierzu wurde von uns erarbeitet und wird noch in 2013 an die
städtebaulichen Sprecher der Koalitionsparteien
übermittelt.
Presseartikel
zum Thema:
Vorstoß
der SPD
Tagesspiegel, 20.04.2013, von Ralf
Schönball
Märkische
Oderzeitung, 20.04.2013, dpa
CDU und
SPD wollen zurück zu Berlins historischer Mitte und diskutieren
neue Bauideen zwischen Fernsehturm und Schloßplatz.
Tagesspiegel, 21.04.2013,
von Ralf Schönball
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