Presseerklärung
Die neue Bauakademie - so modern wie nötig, so original wie möglich!

Die Bewilligung der Gelder für den Wiederaufbau der Schinkelschen Bauakademie durch den Haushaltsausschuss des Bundestags löste – nachdem jahrzehntelang Konsens über eine Rekonstruktion dieses Baus geherrscht hatte – nun doch wieder die Frage aus, ob es zulässig sei, auch etwas ganz Anderes statt den Schinkel-Entwurf zu bauen. Ein ergebnisoffener Wettbewerb wird sogar als absolut notwendig hingestellt und der bisherige Konsens verlassen.

Diese Entwicklung halten wir für den falschen Weg, der den Erfolg des Projektes in Frage stellt. Nach zwanzig Jahren breitester Debatte gibt es keinen Grund, diesen wertvollen Konsens aufzukündigen und keinen Grund, den Beschluss des Bundestags, "Wiederaufbau der Schinkelschen Bauakademie", abzuändern. Der Name “Schinkelsche Bauakademie” darf nicht zum bloßen Etikett verkommen, er muss sich auch im fertigen Gebäude wiederfinden. Es muss also auch tatsächlich sehr viel Schinkel und sehr viel Bauakademie enthalten. Ein Mischgebäude mit z.B. gänzlich modernem Innenleben wäre der unauthentische, der falsche Weg. Dann würde ein Gebäude entstehen, dem man zwar aus Marketinggründen das Etikett „Schinkel“ ankleben würde, das aber nur noch wenig mit seinem Schöpfer zu tun hätte. Es geht also darum, das Projekt davor zu bewahren, durch beliebige architektonische Zugaben und moderne Schnellschüsse verwässert und lächerlich zu werden.

Die anhaltende Debatte um den modernen Teil des Humboldt-Forums / Stadtschlosses, von Architekten kürzlich sogar als “neopreußischer Fassadenzombie” verunglimpft, zeigt, wie umstritten solche Mischgebäude aus altem und modernem Stil sind. Bei einem überschaubaren Projekt wie der Bauakademie sollte man daher nicht schon wieder moderne Brüche einbauen.

Eine authentisch rekonstruierte Bauakademie wäre keine langweilige “Kopie”, kein “Fake”, wie manche behaupten. Sie wäre im Gegenteil eine großartige Leistung. Warum? In der Stadt Ise in Japan wird der Schrein von Ise-jingū, eine hölzerne Tempelanlage, aus religiösen Gründen seit Jahrhunderten alle zwanzig Jahre abgerissen und mit neuem Material völlig neu errichtet. Ziel dieses Rituals: Das Wissen um den Bau solcher Tempel soll an die jeweils nächste Generation weitergegeben werden. Rekonstruktionen leisten also, wenn sie authentisch sind, einen Beitrag zur Bewahrung der Baukultur. Dabei ist es nicht entscheidend, ob noch Originalmaterial vorhanden ist, das man verbauen kann. Selbst der Kölner Dom besteht dank ständiger Reparaturen mittlerweile fast nur noch aus neuen Steinen. Entscheidend ist bei Rekonstruktionen vielmehr die Einhaltung der originalen Pläne des Erbauers.

Rekonstruktionen sind alles andere als schwärmerischer Kitsch für nostalgische Menschen, die sich Kutsche und Kaiser zurückwünschen, sondern sie fördern die Identität einer Stadt und nicht zuletzt deren Tourismus. Rekonstruktionen sind vor allem dort besonders erfolgreich, wo sie eben keine Mischgebäude, keine „Fassadenzombies“ sind. Das Hildesheimer Knochenhaueramtshaus ist 1989 nach 44 Jahren Abwesenheit als Vollholzkonstruktion nach alten Plänen und Fotos wiedererrichtet worden, wobei man sich trotzdem sinnvollerweise nicht scheute, einen modernen Fahrstuhlschacht einzubauen. Die Dresdner Frauenkirche erhielt aus statischen Gründen moderne Ringanker und aus akustischen Gründen eine moderne Orgel, ansonsten aber folgte man auch dort dem Originalentwurf.

So modern wie nötig, so original wie möglich. An diesem Erfolgsrezept sollte sich auch die Bauakademie orientieren. Unser Appell an alle Beteiligten: Bitte, kehrt zu diesem Konsens zurück! Nur eine möglichst authentisch rekonstruierte Bauakademie wird es kommenden Generationen ermöglichen, dieses schinkelsche Meisterwerk unverfälscht als Gesamtkunstwerk zu erleben. Da aber auch Schinkels Werk nicht in Stein gemeißelt blieb, sondern schon im 19. Jhd. umgebaut und modernisiert wurde, sollte man sich praktischerweise auf folgende Ziele konzentrieren: Rekonstruktion der historischen Fassaden, Beachtung der schinkelschen Raster, Proportionen und Geschosshöhen. Dies dürfte sich mit jeder angestrebten Nutzung vereinbaren lassen. Keinesfalls jedoch sollte ein Mischmasch aus Schinkel und moderner Beliebigkeit von vornherein das Ziel sein. Dann wäre der Wiederaufbau der schinkelschen Bauakademie gescheitert.

- Forum Stadtbild Berlin - Förderverein Bauakademie - Berliner Historische Mitte e.V.
- Stadtbild Deutschland e.V. - Planungsgruppe Stadtkern im Bürgerforum Berlin e.V.


Holm ist ein Problem Lompscher

Es tut mir sehr leid, aber nach den jüngsten Erkenntnissen, daß Senatorin Katrin Lompscher wie auch die Partei Die Linke, entgegen den bis heute andauernden Relativierungen, sehr konkret und schriftlich über die Stasi- Tätigkeiten von Holms sowie auch über seine Auskunftspolitik gegenüber der HU informiert waren, stelle ich - mit einem gewissen Bedauern, weil ich Katrin Lompscher menschlich schätze - die Frage: Wurde hier die falsche Frau ausgewählt? Ihr Agieren bezüglich der Personen, die ihr eigentlich helfen sollen, wirkt fahrig und konzeptionslos, damit steht sie insgesamt unter dem Bild "überfordert" und insofern fehl am Platze da:

1.) Auf der einen Seite beläßt sie eine Senatsbaudirektorin Lüscher, Schrecken von Berlin, deren verquere und immer nur investoren- und architekten- treue Ansichten nun also nur zu weiteren städtebaulichen Schäden für die Stadt führen würden sowie zu Miet- und Grundstückspreissteigerungen, weil hier immer nur den Investoren-Interessen gefolgt wird.

2.) Auf der anderen Seite will sie einen Staatssekretär installieren, der genau diese Entwicklung aufhalten soll (!). Seine Mischung aus Stasi- und Gewaltaffinität ist im übrigen auf jeden Fall bedenklich.

Eine solche Dreier-Kombination, bei der jeder in eine ganz andere Richtung will, kann nur schiefgehen.

Ein radikaler Neuanfang muß her, auch im Bezug auf das Senatsamt selbst, denn dieses so wichtige Amt darf nicht in Konzeptionslosigkeit untergehen.

Es möchte bitte sichergestellt sein, daß bei diesem Neuanfang BEIDE Staats- sekretäre entlassen werden, damit eine gedeihliche Entwicklung erst wieder beginnen kann.

(Eher als Frau Lüscher zu belassen sollte man bei einem solchen Neuanfang daran denken, das Amt gar nicht mehr zu besetzen. Das schafft auf jeden Fall weniger Schaden als Frau Lüscher und kostet auf jeden Fall weniger Geld.)

Berlin, 21. Dez. 2016, Annette Ahme, Vorsitzende Berliner Historische Mitte





Alte Mitte – Alte Liebe 2015

15.5.2015

Ein Betrag zur Stadtdebatte Berliner Mitte 2015


1.     Die vom Senat mit der Auftakt-Veranstaltung am 18.4.2015 angeregte Stadtdebatte, welche durch die dabei verteilten Karten und Unterlagen auf den Bereich „zwischen Fernsehturm und Spree und zwischen Marienkirche und Berliner Rathaus“ eingegrenzt wurde, möchte ich im folgenden bitte als Stadtkern-Debatte führen dürfen.

Es geht doch nicht allein um den vorgenannten rot-grün-geprägten Freiraum, sondern auch um den Verflechtungsbereich der angrenzenden, jetzt aber isolierten Quartiere innerhalb der ehemaligen barocken Stadtbefestigung. Es geht also im weitesten Sinn um den Kern der Sache, und dieser Beitrag soll unter das Motto einer Wiedergutmachung gestellt sein.


2.     Ein kurzer Blick in die Geschichte zeigt uns, daß seit dem Mittelalter zwischen Nikolai- und Marien-Kirche mit Berliner Rathaus und Neuem Markt als wichtigstem Platz und über die Zeiten hinweg bürgerliche Wohn- und Geschäftshäuser bestanden als Pendant zur Residenz der Kurfürsten und Könige auf der Schloß-Insel, deren nördliche Hälfte heute nur noch als Museums-Insel wahr-genommen wird. Durch Lage und Politik einem stetigen Wachstums- und Wandlungsprozeß unter-worfen, war dieser Stadtkern bis zum 2. Weltkrieg das pulsierende Herz einer modernen Weltstadt – ohne mittelalterliche Gäßchen, wie jetzt manchmal von interessierter Seite zu vernehmen ist...


3.     Namen und Häuser wie C&A, Tietz und Wertheim sind die Kürzel und Begriffe solch städtischen Lebens, das durch die Arisierungen der Nazis quasi zum Erliegen kam; dann haben die alliierten Luftflotten ihre Bombenteppiche darübergelegt; und danach wurden auch die wiederauf-baufähigen Ruinen durch die Ulbricht-Regierung für Aufmarschplätze und für Weltfestspiele abgeräumt.


4.     Die politisch-ideologischen Begründungen für die Abrißwut waren vielfältig: das großartige Schlüter’sche Schloß, in welchem 1946 schon wieder Ausstellungen gezeigt werden konnten, wurde als Hort des preußischen Militarismus gebrandmarkt und alsdann dynamitisiert – die Moskauer Genossen hatten keine Hemmungen, den Kreml zu besetzen und zu nutzen...

Die Bourgeoisie als Klassenfeind sollte in der Mitte kein Eigentum an Grund und Boden mehr besitzen dürfen, und keinen Profit mehr aus Wohnungen und Läden ziehen können. Dafür sollten in die Wohnhochhaus-Scheiben beidseits der Turm-Achse die verdienten Kader der „Avantgarde des Proletariats“ einziehen, wo sie noch heute ein gewichtiges Wähler- und Protest-Potential darstellen.


5.     Der Trümmerschutt wurde so angeschüttet und einplaniert, daß die störende, aber opportuner-weise vorläufig nicht zu beseitigende Marien-Kirche um über einen Meter versank, nachdem sie der Fernsehturm seit 1969 schon zu einer Miniatur-Figur degradierte.

Was könnten uns die alten Keller all der Häuser, die alle noch in der Erde stecken, nicht alles erzählen, hätte man ihnen nicht den Mund mit Schutt verstopft... denn immer noch ist richtig und dringlich: Unter dem Pflaster liegt die Stadt! Ihrem Wesen nach ist sie noch anwesend, nur über der Erde ist sie unserem Auge derzeit entzogen.

Beim U-Bahn-Bau vor dem Roten Rathaus kam die mittelalterliche Tuchhalle des Alten Rathauses zum Vorschein, und man fand in den Ritzen der Fußboden-Dielen unzählige Münzen aus aller Herren Länder.

In einem der Keller gegenüber in der Königstraße hatte jemand im III. Reich zur Zeit der Ver-femung als Entartete Kunst moderne Plastiken in einem Tresor versteckt, der jetzt ans Tageslicht gehoben wurde: die Kunstwerke wurden sogar im Neuen Ägyptischen Museum als Weltkunst-Sensation ausgestellt.


6.     Wie sollen wir nun heute – 70 Jahre nach dem Untergang des III. Reiches, und 25 Jahre nach dem Untergang der DDR – mit diesem Erbe umgehen?

Vor genau 30 Jahren wurden ähnliche Fragen und Haltungen im Zusammenhang mit dem Umgang mit dem Prinz-Albrecht-Gelände - der heutigen Topographie des Terrors - diskutiert und verhandelt. Immer noch viel zu viele meinten damals: „Laßt doch endlich Gras darüber wachsen“. Aber alle ahnten oder wußten, daß damit die unselige Geschichte des Ortes nicht verfliegen würde; je mehr sie verdrängt werden sollte, desto mehr Beunruhigung brachte sie in die Stadt. Genauso ist es mit dem Gelände unter dem Fernsehturm, wo der Senat jetzt unter der gewagten Parole eines „grün-geprägten Freiraums“ die Deutungshoheit wiedererlangen will. Wie weit wird das reichen?

Zunächst sind da jene unter und von den Nazis arisierten jüdischen Grundstücke eine unerlöste Last, die auf dem Stadtkern lastet; hier sei erinnert an die verdienstvollen Ausstellungen „Die vergessene Mitte“ und „Die geraubte Mitte“ im Ephraim-Palais und jetzt am Neptun-Brunnen. Es ist nicht ver-messen zu prophezeien, daß kein deutscher oder Berliner Politiker dieses Problem - wie man bisher glaubt - wird „aussitzen“ können.


7.     Warum soll – nur als Beispiel – das Haus in der Spandauer Straße, in welchem Moses Mendelssohn lebte, nicht wiedererstehen, und ihn und seine Epoche ins heutige Gedächtnis rufen? Warum sollen auf diesem kulturgeschichtlich so bedeutsamen Grundstück nur die unerträglich banalen Touristenbusse parken dürfen? Das ist doch eine Kulturschande sondergleichen.
Um bei der Topographie des Terrors zu lernen: es folgte dann eine bekannte Grabungsaktion, und auch die Zögerer und Verzögerer waren plötzlich ganz perplex über die ersichtlich-erlebbare Realität von Geschichte, als die sog. Folterkeller zum Vorschein kamen.

Daher muß auch hier unter dem Fernsehturm das Gräber- und Keller-Feld geöffnet werden; hier
sind noch manche Tresore und Schätze zu heben, die Inspirationen zur zukünftigen Gestalt des historischen Stadtkerns bieten - ja gebieten. Die alte Forderung muß immer wiederholt werden: „Erst graben – dann planen“. Dann wären auch solche Pleiten und Ausreden der Senatsbau-direktion an der Linden-Oper nicht möglich, daß Holzpfähle im Untergrund den Bau verzögerten und verteuerten. Dann wäre es bei etwas mehr Respekt vor der Geschichte auch nicht möglich, beim C&A-Gebäude an der Rathaus-Straße eine solche Verdrehung zuzulassen, daß die historische Bau-flucht der Kloster-Straße verletzt wird, und Reste der barocken Stadtbefestigung im Untergrund an der Gontard-Straße beseitigt werden..


8.     Man muß auch von seiner Stadtregierung fordern dürfen, daß sie sich einer weiteren ge-schichtlichen Wahrheit stellt: diese ist substantiell und dokumentiert in den alten Parzellen unter der Erdoberfläche – und natürlich in jedem einzelnen Grundbuch: Jeder Tourist, Spaziergänger, oder Säufer läuft – dank der sozialistischen Enteignung – auf dem Betonpflaster quasi widerrechtlich auf „fremden“ Grundstücken herum...

Deshalb muß man in der Stadtkern-Debatte einer weiteren  Forderung Geltung verschaffen: „Parzellen-genau“ denken und handeln.


9.     Von gewissen Kreisen wird die Nutzungsfrage in diesem städtischen Kontext in den Vor-dergrund geschoben, so als wären hier Industrie- oder Sport- oder andere anti-urbane Anlagen zu befürchten. Wenn aus der Rückschau glaubhaft gemacht wird, und die historischen Fotos, Filme, Skizzen, Aquarelle und Gemälde auch kritischer Geister belegen es, daß hier eine quirlige lebendige Stadtmitte existierte, dann hängt das mit der Parzellen-Struktur zusammen, welche eine kleinteilige Nutzungsmischung ermöglichte bzw. erzwang, mit der damit einhergehenden abwechslungsreichen Architektur. Nur wenn die historische Parzelle der Planung zugrundegelegt wird, kann diese alte Mischung aus Wohnen und Arbeiten, Handel und Kultur – auch Stadt der kurzen Wege – neu gelingen. Daher ist eine weitere Forderung die Rückbesinnung auf diese klassischen Elemente des europäischen Städtebaus.

10.     Zum Thema künftiger Nutzungsmischungen gehört natürlich auch eine Konzeption um die teils willkürlich beseitigten, kulturgeschichtlich wertvollen Leitbauten, welche auf ihren origi-nalen Kellern 1:1 zu rekonstruieren sind. Wo beispielsweise das Centrale Postamt C1 stand, wird wohl kaum noch diese „altmodische“ Nutzung einziehen, zumal wir in der Leipziger Straße ein wundervolles Kaiserliches Postmuseum besitzen, aber ein „Tempel“ der neuen Medien und Tech-nologien könnte die legitime Fortsetzung der Geschichte in die Zukunft sein. Dann gab es bekannt-lich neben der Stadtbahn riesige Markthallen – und wenn man an den Erfolg der gerade verjüngten „Eisenbahn-Halle“ in Kreuzberg denkt, so wird einem nicht bange bei der Anregung, auf ihren Fundamenten wieder anzufangen.
11.     Die prinzipiell sehr gelungene Revitalisierung des Nikolai-Viertels in der DDR-Zeit krankt leider sehr an seiner Isolierung durch den an der Südseite fast unüberwindlichen martialischen Mühlendamm und auf der anderen Seite an der Leere hinüber zum wiedererstandenen Viertel des Hackeschen Markts. Eine ähnliche Isolierung betrifft und belastet auch die überfällige Reakti-vierung des Kloster-Viertels.

Hieraus wird deutlich, wie sehr der sog. „grün-geprägte Freiraum“ einer Vernetzung und gegen-seitigen Belebung der angrenzenden Quartiere - buchstäblich - im Wege steht.


12.     So ist – last but not least – der Autoverkehr im Stadtkern einer generellen Revision zu unterziehen. Eine weit überdimensionierte, 8-spurige autobahnmäßige Trasse mit ungewöhnlich breitem Mittelstreifen mitten über einen mittelalterlichen Platz wie hier am Molkenmarkt ist in keiner anderen deutschen oder europäischen Kultur- oder Großstadt noch vorstellbar oder vor-      zufinden. Kaum weniger stadtzerstörerisch ist die zweite Bundesstraße, welche den Stadtkern
zerschneidet, die Karl-Liebknecht-Straße mit ihrem Rasen-Mittelstreifen, in dem die Straßenbahn gerade mal für ein paar Meter versuchen kann, auf Tempo zu kommen.

In früheren Zeiten waren die Stadtväter der meisten Gemeinden froh, wenn sie eine Bundesstraße mitten durch ihren Ort besaßen, da sie der Straßenbaulast enthoben waren: inzwischen haben sie alle aber beim Bund ihre Umgehungsstraßen gefordert und bekommen. Nur vom Bau- und Verkehrs-Senator von Berlin hört man nichts dergleichen. Er ist aufgefordert, für die ehemaligen großen Reichsstraßen Nr. 1 und 2 und 5, jetzt Bundesstraße Nr. 1 und Nr. 2+5, die als Durchgangsstraßen über den mittelalterlichen Stadtgrundriß Berlins führen, geeignete Alternativen zu finden und sich vom Bund finanzieren zu lassen.

Ohne eine solche Entspannung entlang der genannten Straßenzüge kann eine menschliche Dimen-sion unmöglich in den Stadtkern zurückkehren; auch die Lärmkulisse verhindert eine urbane Atmosphäre. Insoweit sind die vom Senat hier zu erwartenden Schritte (oder Unterlassungen) wichtige Prüfsteine für die Authentizität und Wahrhaftigkeit der Stadtdebatte.


Dr.-Ing. Helmut Maier.

Siehe auch:  www.stadtdebatte.berlin.de





Anlaß und Forderungen des Bürgerforums:

Das Bürgerforum Berliner Historische Mitte strebt die Wiederbelebung des Stadtkerns zwischen Spreekanal und Stadtbahn, des ältesten Teils Berlins, als Raum städtischen Lebens und Handelns an. Das Bürgerforum zielt darauf ab, dass auf dem Gebiet des einstigen Berliner Stadtkerns wieder ein vitales Stadtzentrum entsteht, das die Geschichte des Ortes erlebbar macht, ohne die moderne Architektur zu negieren.

Dies ist ein Prozess, der mehrere Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird. Der gegenwärtige Berliner Stadtkern ist das Ergebnis einer 800-jährigen Geschichte, die in den letzten 170 Jahren von zahllosen Brüchen, Zerstörungen und politischen Umgestaltungen gekennzeichnet war. Für die städtebauliche Weiterentwicklung im Bereich des Stadtkerns ist ein Umdenken erforderlich, da es sich hier nicht um einen Raum handelt, der allein nach den zeitgenössischen Vorstellungen der Politiker und Stadtplaner gestaltet werden kann, sondern um den Gründungsort der Stadt, an dem historische Bezüge eine große Rolle spielen.

An vielen europäischen Metropolen lässt sich ablesen, welch ein großes urbanes Potential die mittelalterlichen Stadtkerne darstellten. Auch in Berlin lässt sich die historische Textur und Tektonik der Kernstadt rekonstruieren. Das Bürgerforum tritt für eine kleinteilige und parzellenorientierte Entwicklung des historischen Zentrums ein. Es geht dabei um ein Stadtgebiet von größter historischer Bedeutung, das jetzt schon unter Verwertungsdruck von Seiten der Grundeigentümer (zumeist Stadt und Bund) und in kurzer Frist auch unter einem hohen Investitionsdruck steht. Wenn die Stadtverwaltung, die Politik und die Berliner nicht wissen, was sie wollen, dann liefern sie die stadtgeschichtlich kostbarsten Orte der Zerstörung aus. Die Tatsache, dass die Parteien das Thema der mittelalterlichen Kernstadt lange Zeit ignorierenten, war ein beklagenswertes Defizit und es war unverantwortlich.

Dass die historische Dimension Berlins für die landespolitischen Strategien bisher keine Rolle spielte, ist umso unverständlicher, weil sich die Stadtverwaltung damit bereits beschäftigte: durch die archäologischen Grabungen, durch den Bau der U-Bahn-Linie U5 und die Bebauungspläne im Rahmen des Planwerks Innenstadt. Damit wächst die Gefahr, dass hinter dem Rücken der Öffentlichkeit Fakten geschaffen werden, die geeignet sind, das Stadtbild und das städtische Selbstverständnis nachhaltig zu beeinträchtigen .

Die Forderungen des Bürgerforums an die Berliner Politik lauten:

1) Schaffung einer Arbeitsstelle und eines Informationszentrums Berliner Stadtkern.
 Die Wiederbelebung des Stadtkerns muss mit der gründlichen Erforschung aller ober- und unterirdischen Dokumente zur Geschichte des Stadtkerns beginnen. Eine Arbeitsstelle Berliner Stadtkern sollte umgehend die Erstellung eines historischen Parzellenplans, eines Häuserbuchs (Feststellung der früheren Grundstückseigentümer) und die Erfassung und Digitalisierung aller Spolien sowie aller historischen Ansichten des Stadtkerns koordinieren. Die Ergebnisse dieser Arbeitsstelle und die aktuellen Senatsplanungen für den Stadtkern sind in einem Informationszentrum dauerhaft vor Ort zu präsentieren.

2) Planungsmoratorium und Vorrang der Archäologie
Der Stadtkern ist als Grabungsschutzgebiet auszuweisen. Herausragende bauliche Relikte unter der Erdoberfläche müssen in situ erhalten und zugänglich gemacht werden. Das Bürgerforum fordert, dass der unterirdische Bestand durch eine umfassende archäologische Grabungskampagne geklärt wird. Dazu ist ein Moratorium nötig, das einen Vorrang der Erforschung und archäologischen Grabungen vor den städtebaulichen und verkehrspolitischen Maßnahmen sichert.

3) Nebeneinander der historischen Schichten
Das Wiederaufgreifen der historischen Stadtgrundrisse bildet die Grundlage für die Wiederbelebung des Stadtkerns. Die historischen Stadtgrundrisse können nicht flächendeckend wieder aufgegriffen werden; wenn sie aber wieder aufgegriffen werden, hat dies kenntnisreich, liebevoll und präzise zu geschehen – nicht wie bislang gänzlich beliebig und sogar kritisch. Angestrebt wird ein dichtes Nebeneinander von hochwertigen Wohn-und Geschäftshäusern heterogener Größe, Gestaltung und Nutzung (staatliche Förderung ermöglicht Normalverdienern die Anmietung eines Teils der neuerbauten Wohnungen). Dabei haben alle historischen Schichten einen Wert; erst ihr Nebeneinander ermöglicht einen lebendigen Stadtkern. Ziel ist eine Gleichzeitigkeit aus Grundrissen und Gebäuden verschiedener Epochen. Einige Bauwerke und Denkmäler der Nachkriegsmoderne besitzen einen historischen und kunsthistorischen Wert.

4) Reduzierung des Autoverkehrs
Der Verkehr muss dem Stadtkern dienen, nicht umgekehrt. Der Autoverkehr ist insgesamt zu reduzieren, insbesondere der Durchgangsverkehr.
 
5) Stadtgestaltung als demokratischer Prozess
Der Weg zur Wiederbelebung des mittelalterlichen Stadtkerns ist langwierig und anspruchsvoll. Er kann nicht von einem einmaligen stadtplanerischen Entwurf, nicht von einer bloßen Architektenvision ausgehen. Es muss vielmehr ein demokratischer Prozess sein, der auf allen Stufen der Entwicklung von einer ausreichend informierten und engagierten Bürgerschaft bestimmt wird. Der Senat hätte die Aufgabe zu sichern, dass die Bürgerschaft das letzte Wort bei der Frage hat, wie das historische Zentrum der eigenen Stadt in Zukunft aussehen soll. Ein solcher Prozess würde den Berlinern die Chance geben, sich auf eine neue Weise mit der Geschichte der eigenen Stadt zu identifizieren.

Stellvertretend für das Bürgerforum
Klaus Hartung

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